Tod und Abschied sind mit den stärksten Gefühlen verbunden, zu denen ein Mensch fähig ist: Trauer und Schmerz. Begleitet werden diese Emotionen häufig von einem schier überwältigenden Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit. Wie Menschen darauf reagieren, ist ganz und gar individuell: manche lenken sich ab, andere sind wie gelähmt.
„Es ist, als bräche bei einem oft genutzten, liebgewonnenen Bücherregal ein Boden durch“, erklärt Trauerbegleiterin Kerstin Seifert. „Manche hängen einen Vorhang davor, andere versuchen, wieder Ordnung ins Chaos zu bringen.“ Ihre Aufgabe sei es, Menschen genau dabei zur Seite zu stehen: Den Mut aufzubringen, hinzuschauen. Mit ihren Gefühlen umzugehen, Trauerarbeit zu leisten, die schlimme Zeit zu durchleiden.
Oder, um in Seiferts Bild zu bleiben: Das Regal auszuräumen und den Boden zu reparieren. Den Vorhang zu lüften und die Unordnung dahinter Stück für Stück zu beseitigen – und auf diese Weise für Heilung zu sorgen. Trauer entsteht nicht nur beim Verlust eines geliebten Menschen. Auch der Tod eines Tieres oder Einschnitte auf dem Lebensweg wie zum Beispiel eine Scheidung oder Trennung lösen starke Emotionen aus. Bei der Trauerarbeit gehe es nicht darum, Intensität oder DauerderGefühlezubewerten – sondern sie anzunehmen und anzuerkennen, erklärt Seifert, den Verlust zu integrieren. Trauerbegleiter wie sie sind geschult darin, Menschen dabei zu unterstützen, sich dem Schmerz, oft auch der Wut und dem Groll zu stellen, die Ohnmacht zu überwinden. Das Vordringlichste sei dabei für einen Trauerbegleiter, ein Mitmensch zu sein – mit dem Menschen zu sein. „Ihm das Gefühl zu vermitteln, in seiner Einsamkeit nicht alleine einsam zu sein“, so Seifert. Das stärkste Werkzeug, das ihr dabei zur Verfügung steht, ist e eine Verbindung zum Trauernden aufzubauen, ein Band von Herz zu Herz zu knüpfen. „Ich vermittle den Menschen, dass es in Ordnung ist, zu fühlen, was sie fühlen.“ Zupass kommt Seifert dabei eine große Gabe: sie weiß, wie es ist, sich einsam zu fühlen und kann sehr gut zuhören, Schweigen aushalten. Sie verfügt über tiefe innere Stärke und Kraft. „Ich will dem Trauernden Geborgenheit vermitteln, lasse ihn bei mir auftanken.“ Auf dieser Basis kann es gelingen, Vertrauen zu schaffen: Vertrauen in die eigene Kraft und Stärke, Vertrauen in ein Leben nach dem Tod. Hilfreich sind natürlich bekannte Trauerrituale: ans Grab gehen. Eine Kerze anzünden. Mit Freunden über den verstorbenen Menschen reden, sich an ihn erinnern. Ganz wichtig sei es, betont Seifert, alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Sich nicht vom Tod abzuwenden, sondern sich selbst die Zeit zu geben, das Geschehen zu begreifen, zu erspüren: Stirbt ein Mensch, kann es für den Trauerprozess ungeheuer wertvoll sein, sich von dem
Verstorbenen zu verabschieden.DieHandzuhaltenund zu spüren, dass sie kalt ist. Den Leichnam im Sarg aufgebahrt zu sehen. Blumen ans Grab zu legen. „In unserer Gesellschaft soll man stetsfunktionieren.Aberwir können nicht immer einfach gleich weitermachen, als wäre nichts geschehen.“ Deshalb sollte man Schritt für Schritt die Erkenntnis Raum greifen lassen, dass eine große Lücke entstandenist.DenVerlustdarfund soll man beklagen. Rituale machen ihn sichtbar und helfen, die Hilflosigkeit und Ohnmacht, den Kontrollverlust, den ein Todesfall mit sich bringt, auszuhalten. Eine der hilfreichsten Erfahrungen für Trauernde sei Gemeinschaft, zum Beispiel eine Selbsthilfegruppe. Hier werde Betroffenen klar: Ich bin nicht allein, andere fühlen, andere leiden genauso wie ich. Heilung geschehe vor allem durch Verständnis, so Seifert. Häufig beginne Trauerarbeit auch schon vor dem Tod: Wenn zum Beispiel klar werde, dass Angehörige an einer unheilbaren Krankheit leiden, fangen viele Menschen an, sich mit dem Unausweichlichen auseinanderzusetzen. Und entdecken dabei auch vieles über sich selbst. „Trauerarbeit
heißt, sich über Gefühle klar zu werden, sie nach außen zu bringen, zu akzeptieren und dann wieder ins Leben zu integrieren.“ Hinzuschauen, sich seinen Gefühlen zu stellen und sie zu durchleiden, das kostet natürlich Mut und Energie. Aber: „Stellt sich ein Mensch seiner Trauer nicht, erlebeichesso,alswürdeer ein Stück weit einfrieren“, schildert Kerstin Seifert. Gelebte Trauerarbeit, das Leiden, helfen Geist und Seele dabei, zu verstehen, dass ein Mensch tot ist, dass ein Abschnitt zu Ende ist. Das ist nicht nach einer genau bemessenen Zeitspanne erledigt. Trauer kommt in Schüben, taucht immer wieder auf. AlsTrauerbegleiterinverfügt Kerstin Seifert über hilfreiche Techniken, mit denen sie Trauernde unterstützen kann: „So ist es zum Beispiel möglich, mit farbigen Seilen einen Lebensweg nachzuzeichnen. Das weiße Seil lege ich für den Verstorbenen, ein rotes Seil für mich. Es gibt Abschnitte, in denen die Seile eng miteinander
verflochten sind, andere, an denen sie auseinandergehen. Der Trauernde benennt die unterschiedlichen Stationen, beschriftete Kärtchen werden an die entsprechende Stelle gelegt. Immer wieder kann der Trauernde hinspüren und die symbolischen Lebenswege korrigieren: die Seile zueinanderrücken oder auch weiter auseinanderlegen. Dabei wird vieles klar, erfährt Aufmerksamkeit und kann ein Stück weit heilen. Zum Schluss wird eine Fotografie gemacht, die der Trauernde zusammen mit den wichtigen Stationen mitnehmen kann. Sich zu Hause erinnern kann. „Es geht darum, Dinge anzuerkennen. Anzuerkennen, dass ich sie so erlebt habe“, so Seifert. Ideal sei es, so Seifert, wenn es am Ende gelinge, die Perspektiven zu wechseln. Es hilft, den Fokus auf das zu lenken, was da ist: Dankbarkeit für die Zeit, die man mit einem Menschen verbringen durfte. „Wie wäre es, wenn es in meinem Leben nichts gäbe, um das sich zu trauern lohnt“, bringt Seifert es auf den Punkt. „Wie leer wäre mein Leben dann?“ Trauerarbeitisteinschmerzvoller, steiniger Weg, auf dem Kerstin Seifert Trauernde begleitet. Abnehmen kann sie den Menschen diese Arbeit nicht, aber wie „in der Homöopathie die Selbstheilungskräfte anregen.“ Es lohnt sich, die Mühen auf sich zu nehmen, davon ist Seifert überzeugt. Denn am Ende des Weges geraten die Dinge wieder in Fluss, weicht die Dunkelheit dem Licht – wandelt sich Schmerz in Frieden
ier erscheint in Kürze ein Interview, das 2018 im OVB erschienen ist.
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